Meta Antenen – Erste Schweizer Leichtathletik-Ikone

Im Jubiläumsjahr von Swiss Athletics jährt sich Meta Antenen «Jahrhundertsprung» zum 50. Mal. 6,73 Meter weit sprang die Schaffhauserin am 14. August 1971 an den Europameisterschaften in Helsinki, gemäss Fachzeitung «Sport» die «markanteste Leistung, die jemals einer Schweizer Leichtathletin gelang» und der Höhepunkt einer beispiellosen Karriere.  

Meta Antenen war nervös, als sie den Finalwettkampf als erste Weitspringerin eröffnen sollte. So nervös, dass sie ihre jugendliche Leichtigkeit für einen Moment zu verlieren drohte. Rat suchend, blickte die damals 22-Jährige über die linke Schulter und sah die Schweizer Fahne wehen. Das schien sie zu beruhigen. Dann holte sie tief Luft und nahm Anlauf. Den Absprungbalken traf sie gut, verschenkte nur ein paar Zentimeter, wenn überhaupt. Die Arme hochgerissen, segelte, nein flog sie förmlich in neue Sphären und kam erst nach 6,73 Metern zu landen. Schweizer Rekord. Im ersten Versuch.

Weiter war Meta Antenen bislang bloss einmal gesprungen: 6,81 m an den Schweizer Meisterschaften drei Wochen zuvor. Allein, auf der Basler Schützenmatte bliess der Wind einen Hauch zu stark, als dass die Leistung hätte anerkannt werden können. Im Gegensatz dazu brachte die Ausnahmeathletin des LC Schaffhausen ihre Unterschenkel in Helsinki einfach nicht nach vorn. Trotzdem führte sie die Konkurrenz lange an. Doch dann kam der Wind und mit ihm Ingrid-Mickler Becker. Im sechsten und letzten Durchgang schaffte es die deutsche Olympiasiegerin im Fünfkampf tatsächlich, Meta Antenen die EM-Goldmedaille noch wegzuschnappen. Um drei Fingerbreiten überflügelte sie die führende Schweizerin, die ihren Teil allerdings dazu beigetragen hatten. 

Vorbild in Sachen Fairness
Nur Minuten zuvor war Meta Antenen nämlich quer über das Feld gerannt, um Mickler-Becker, die während des Weitsprungfinals auch als Schlussläuferin der 4×100-m-Staffel im Einsatz stand, den Trainingsanzug zu holen. Überdies bestand Antenen beim Kampfgericht darauf, dass ihre deutsche Konkurrentin den durch den Staffeleinsatz verpassten fünften Sprung nachträglich absolvieren durfte.

Diese selbstlose Geste bescherte der Schweizerin neben der Silbermedaille zwei weitere internationale Auszeichnungen. So fand es der Verband Deutscher Sportpresse angebracht, die von der Boxlegende Max Schmeling gestiftete Fair-Play-Trophäe erstmals ins Ausland und erstmals an eine Frau zu vergeben. Die UNESCO doppelte nach und verlieh Meta Antenen in Paris die Fairness-Medaille «Pierre de Coubertin». «Mieux qu’une victoire» – mehr als ein Sieg – steht darauf. Die zwei Auszeichnungen machten die bescheidene Amateurin zu einem Vorbild weit über den Sport hinaus.

9 EM-Medaillen und ein Weltrekord
Während ihrer Laufbahn gewann die 56 kg leichte Meta Antenen neun EM-Medaillen, davon sieben in der Halle, zwei Olympiadiplome in Mexiko und München und insgesamt 34 Schweizer Meistertitel. Daneben stellte die berufstätige Elektrozeichnerin 80 Landesrekorde auf, einer bedeutete sogar Weltrekord: An den Schweizer Fünfkampfmeisterschaften 1969 in Liestal erzielte die neue Königin der Leichtathletik 5046 Punkte, womit sie die grosse Heide Rosendahl um 23 Zähler übertraf. Antenes Einzelleistungen: 13,5 Sekunden über 100 m Hürden bei einem Gegenwind von 2,3 m/s; 11,28 m; persönliche Bestleistung im Kugelstossen, der schwächsten Disziplin und mit ein Grund, dass sich die Mehrkämpferin ab 1971 auf die Hürden und den Weitsprung spezialisieren sollte; 1,71 m und Hausrekord im Hochsprung dank der raschen Umstellung auf die neue Fosbury-Flop-Technik; 6,49 m im Weitsprung – 19 Zentimeter weiter als beim Schweizer Rekord an den Olympischen Spielen im Jahr zuvor; 24,6 Sekunden und persönliche Bestzeit über 200 m im Schlepptau der neuen Rekordsprinterin Elisabeth Waldburger-Ermatinger (LC Zürich)!

Keinen Weltrekord, dafür zwei Landesrekorde in ein und demselben Wettkampf produzierte Meta Antenen 1974 an der Hallen-Europameisterschaften in Göteborg. Mit 6,59 respektive 6,69 m bescherte sie der Schweizer Leichtathletik die erste Hallen-EM-Goldmedaille – obwohl es hierzulande noch keine einzige Indooranlage gab. Hinzu kommen zwei Ehrungen als Schweizer Sportlerin des Jahres: 1971 und 1966.

Beim Swiss Athletics Sprint entdeckt
Im Jahr 1966 war Meta Antenens internationaler Stern aufgegangen: Erst 17-jährig, siegte die Lichtgestalt der Schweizer Leichtathletik bei Weltklasse Zürich über 80 m Hürden, errang im Weitsprung und Fünfkampf zwei EM-Diplome in Budapest und verzauberte das sowjetische Publikum an den Europäischen Juniorenspielen in Odessa (UdSSR/UKR) mit ihren Auftritten. Ein russischer Reporter meinte nach dem Doppelgold im Hürdensprint und Fünfkampf sogar: «Wir haben die Schweiz bisher nicht gekannt. Nun wissen wir, wie sie ist: Gut und schön!»

Entdeckt wurde der erste weibliche Leichtathletik-Star 1960 bei der Premiere des «Schnällscht Schafuuser Bölle» in Schaffhausen, dem heutigen Swiss Athletics Sprint und Austragungsort des Schweizer Finals 2021. Die barfusslaufende Schülerin auf Bahn 7 fiel dem Leichtathletik-Trainer und lokalen Projektinitianten Jack Müller sofort auf. Trotz rudernden Armen musste in Metas Auftritt schon 1960 eine gewisse Anmut mitgeschwungen haben, eine Eleganz, die sie zeit ihrer Karriere bewahren sollte. Der Gründervater der Damenabteilung des LC Schaffhausen, Mentor und Förderer zahlreicher Schweizer Sportgrössen – darunter Eiskönigin Denise Bielmann – musste Metas Eltern allerdings erst dazu überreden, dass ihre Tochter den Ballett- und Musikunterricht zugunsten der leichtathletischen Basisbewegungsformen Laufen, Springen und Werfen aufgeben sollte. 

Umdenken in der Frauenleichtathletik
Noch bis in die Sechzigerjahre hatte sich das Vorurteil hartnäckig gehalten, wonach der Leistungssport im Allgemeinen und die Leichtathletik im Besonderen dem femininen Körper schade, ja sogar von einer «Vermännlichung» war die Rede. Zu diesem Bild passten die Frauen aus dem Ostblock, Frauen wie Irina und Tamara Press, die mehr als Schwer- denn als Leichtathletinnen auffielen. Umso verdutzter rieb man sich die Augen, als mit Meta Antenen ein blondes «Fräulein» in Erscheinung trat, das nicht nur schnell sprintete und weit sprang, sondern auch umwerfend aussah.

Im Alter von 14 Jahren liess sich Meta über 80 m Hürden ihre erste, bronzene SM-Medaille bei den «Grossen» umhängen. Mit 15 wurde sie im Weitsprung jüngste Schweizer Titelhalterin aller Zeiten. Allein 1965 holte sie über 100 m, 80 m Hürden, im Hochsprung, Weitsprung, Fünfkampf und mit der 4×100-m-Staffel sechs Titel. Zehn Jahre später – 1976 – beendete die zweifache Junioren-Europameisterin und neunfache EM-Medaillengewinnerin ihre grandiose Karriere im Alter von 27 Jahren nach einem Wadenmuskelriss. Diesen hatte sie sich just vor einem Meeting in Helsinki zugezogen. Jener Stätte, in der sie vor einem halben Jahrhundert für eine der grössten Schweizer Leichtathletik-Sternstunde gesorgt hatte. Indes viel wichtiger: Dank Meta Antenen wurde die Leichtathletik hierzulande auch als Frauensportart wahrgenommen.

(sto)